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Workshop Alpine Wertelandschaften und Energieinfrastrukturen

Was sind Werte von alpinen Landschaften, die wir nicht in Geld oder TWh ausdrücken können? Oder müssen wir von Bedeutungen sprechen? Solche und ähnliche Fragen wurden am Workshop vom 21. November an der Uni Basel aufgeworfen und diskutiert.

Bisher weitgehend unerschlossene Berggebiete befinden sich im Fokus des Infrastrukturausbaus für die Energie­wende. Aufgrund ihrer Abgeschiedenheit sind alpine Frei­räume kaum im öffentlichen Bewusstsein präsent. Im Kontext der Energiewende werden ebendiese Freiräume zu nutzbaren Ressourcen – mit potenziell gravierenden Auswirkungen für alpine Landschaften.

Die Organisatoren des Workshops, der Schweizer Alpen-Club SAC, die Stiftung Landschaftsschutz und Mountain Wilderness Schweiz («Allianz für Alpine Freiräume»), sind statutarisch dem Erhalt der alpinen Freiräume verpflichtet. Im Rahmen dieses inter- und transdisziplinären Workshops an der Universität Basel haben sich verschiedene Akteure aus den Sozialwissenschaften und dem Umweltschutz mit der Frage beschäftigt, was unter Wertelandschaften zu verstehen ist und wie sich daraus Argumente für den Erhalt alpiner Freiräume ableiten lassen.

Perspektiven

Kaspar Schuler erinnert daran, dass die Alpen neben Heimat für 14 Mio Menschen ein Hort der Biodiversität und ein durch die Klimakrise massiven Veränderungen ausgesetzter Raumsind.Er legt dar, worauf es gemäss seinen Erfahrungen ankommt, damit die Energiewende landschaftsverträglich erfolgt. So konnte er mit einer kleinen Gruppe in den 80er-Jahren den Bau von Wasserkraftwerken in wilden, abgelegenen Bündner Tälern stoppen. Er hebt insbesondere das Handeln am Ort selbst hervor, was Erkenntnisse fördert und Betroffenheit weckt. Ausserdem relevant seien die Kraft diverser symbolischer Aktionen, welche das Anliegen immer wieder neu aufzeigen, das Mobilisieren von Gleichgesinnten und die Gesprächsbereitschaft, wenn Projekte trotzdem realisiert werden.

Präsentation Kaspar Schuler

Sabine Eggmanns Vortrag bringt die kulturhistorische Perspektive zum Thema ein, bei der nicht die Geschichte, sondern die «Geschichten» der Stauseen in der Schweiz im Vordergrund stehen. Am Beispiel der Geschichte(n) verschiedener Akteure (den Behörden, Ingenieur:innen, Naturschützer:innen, Anwohner:innen, Arbeiter:innen, Tourist:innen) zeigt sie deren unterschiedliche Wahrnehmungen und Vorstellungen einer sich im Zuge des Infrastrukturausbaus verändernden Landschaft. Die Beispiele stehen sinnbildlich für die Pluralität und Ambivalenz moderner Zusammenhänge und deren Verflechtungen in sich transformierenden alpinen Landschaften.

Präsentation Sabine Eggmann

Norman Backhaus präsentiert in seinem Vortrag den Begriff der Wertelandschaft aus konzeptueller Perspektive. Im Sinne einer Einführung unterscheidet er die generisch verschiedenen Typen von Landschaftswerten (instrumentelle, intrinsische und relationale Werte), Landschaftsleistungen (z.b. Identifikation, Wohlbefinden, Ästhetischer Genuss etc.) und Dimensionen der Landschaftswahrnehmung (z.b. sinnlich, ökonomisch, politisch etc.). Er zeigt damit die Vielfältigkeit, in der Landschaften oder Landschaftselemente bedeutsam sein können. Landschaften verankern als Solche subjektive Bewertungen und Wahrnehmungen, sind Gegenstand alltäglicher Aushandlungen und somit fluider Bedeutungszuschreibung. Welche Werte zählen, hängt ab von den tragenden Machtstrukturen, den Rechtfertigungen, die hinter den transformativen Prozessen stehen und dem Gerechtigkeitsempfinden.

Präsentation Norman Backhaus

Kurzinputs

Boris Salak: Wo wollen wir Energielandschaften und wo nicht?

Gian-Luca Kämpfen: Die Gletscher und ihr Vermächtnis: atmosphärische Qualitäten der Landschaft am Beispiel der neu entstehenden Gletschervorfelder und Gletscherseen in den Alpen

Marco Pütz: <<Input>>

Eike von Lindern: Umweltpsychologische Impulse

Philippe Wäger: Perspektive der “Allianz für alpine Freiräume”

Synthesen

Maren Kern und Philippe Wäger: Für die weitere Arbeit der «Allianz für Alpine Freiräume» haben sich folgende Reflexionsfelder aufgetan:

  • Verwendung von Begriffen: Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive ist das Wort «Freiräume» im Zusammenhang mit «Schutz» zu hinterfragen, weil es «Brachliegen» und damit «Verschwendung eines Potenzials» impliziert. Das könnte zu stark ein Begehren für die Nutzung, z.B. für Energieinfrastruktur, hervorrufen.
  • Welt des Stroms: Wir können uns der Nachfrage nach Strom und z.B. dem Ausbau von Freiflächen-Photovoltaik nicht verschliessen. Vielmehr müssen wir Expert:innen werden in smarter Stromproduktion an geeigneten Standorten. Dabei ist es immer wieder wichtig einzubringen, dass der Ausbau nicht die einzige Option ist: Es geht auch um das Spüren und Aufzeigen unserer Grenzen und wie wir die vorhandene Energie bescheiden und effizient einsetzen. Wir müssen ausserdem bei den Machtstrukturen ansetzen, welche bestimmen, wie wir aktuell Strom produzieren. Denn, wie die repräsentative Studie der WSL im Rahmen des Projekt Energyscape aufzeigt, will die Bevölkerung grundsätzlich keine Energieinfrastruktur in alpinen Freiräumen.
  • Alternative Narrative stärken: Für den Erhalt der bisher weitgehend infrastukturfreien alpinen Landschaften müssen wir starke Geschichten, z.B. unter Einbezug von Akteur:innen des Alltags vor Ort, aufspüren. Denn diese Orte sind nicht austauschbar.

Rony Emmenegger: Im Sinne einer Synthese des Workshops lassen sich die folgenden Grundpfeiler für eine sozialwissenschaftlich inspirierte Landschaftsforschung zu alpinen Energieinfrastrukturen identifizieren:

  • Deskriptive Landschaftsforschung: Im Sinne einer Diagnose werden unterschiedliche Bedeutungen und Bewertungen von Landschaften und Landschaftselementen erfasst. In interdisziplinärer Manier stehen die subjektiven, emotionalen und ästhetischen Dimensionen im Vordergrund und werden als Wahrnehmungen oder Alltagspraktiken in vernetzten Landschaften erfasst. Im Sinne der klassischen «Akzeptanz»-Forschung kann auf dieser Grundlage die Frage der Wünschbarkeit oder Machbarkeit von alpinen Energieinfrastrukturprojekten im Vordergrund stehen.
  • Politische Landschaftsforschung: Im Sinne einer Analyse der «Werte» Politik stehen hier die gesellschaftspolitischen Aushandlungsprozesse im Vordergrund. Die Bewertung von alpinen Landschaften wird nicht primär als lokales, sondern als «multi-skalares» Phänomen verstanden – was erlaubt, die aktuell prominente Einbindung von alpinen Landschaften in lokalen, nationalen und globalen Debatten um die Energiewende und den Klimawandel, bzw. deren Verankerung in der Landschaft zu begreifen. Im Sinne einer Analyse von «Politischen Landschaften» gilt es zu fragen, welche Landschaftsbewertung sich durchsetzt und welche nicht, und welche Machtstrukturen sich entsprechend in Landschaft konsolidieren und diese transformieren.
  • Aktivistische Landschaftsforschung: Ausgangspunkt für eine eher aktivistisch Ausrichtung ist die Einsicht, dass sozialwissenschaftliche Forschung, über das Schaffen von Wissen über alpine Landschaften, selber Teil einer «Werte» Politik ist. Dies legt die kritische Reflexion über die Wissensproduktion in Wissenschaft und Gesellschaft nahe, u.a. über deren institutionelle Einbettung und deren Wirkungsmacht. Zugleich eröffnet sich hier politischer Raum für transdisziplinäre Zusammenarbeit zwecks der «Ko-produktion» oder «Ko-kreation» von Wissen, Visionen und Strategien im Umgang mit gesellschaftlichen Problemstellungen in sich transformierenden alpinen Landschaften.

Programm Workshop vom 21. November 2022

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