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Patrouille des Glaciers – Skitourenrennen ohne Bodenhaftung

Die Patrouille des Glaciers (PdG) ist Teil der schweizerischen Sportidentität. Vom Grossteil der Bergsportszene und der breiten Bevölkerung wird der Militär-Grossanlass kaum hinterfragt. Genau das haben wir getan.

Ruhe sucht man in den Tagen unseres ersten Besuches in Arolla besser nicht. Helikopter fliegen nonstop ihre Runden über den Eisriesen von Pigne d’Arolla und Mt. Blanc de Cheilon. Und das, obwohl es noch mehr als zwei Wochen dauert, bis der Prestige-Sportevent der Schweizer Armee beginnt: die Patrouille des Glaciers (PdG). Das legendäre Skitourenrennen fand erstmals 1943 statt und mauserte sich von einem Symbol militärischer Wehrhaftigkeit zum sportlichen Grossevent für (fast) jede:n. Der Wettkampf ist der grösste und härteste Anlass seiner Art, ein Megaevent der Superlative. Zwischen dem 26. April und dem 1. Mai 2022 rannten über 4’600 Skitourengehende aus 35 Nationen in 1’540 Dreierteams auf einer hochalpinen Rennstrecke von Zermatt über Arolla nach Verbier. Dabei vernichteten die Athletinnen und Athleten fast 57 Kilometer und 4’386 Höhenmeter bis zu 3’650 müM. Wäre man gemütlich unterwegs, könnte man dafür ganze 4 Tage berechnen – der Streckenrekord für den Gewaltmarsch liegt jedoch aktuell bei deutlich unter sechs Stunden.

Kein Sportevent wie jeder andere

Sportevents in den Bergen boomen. Ultraläufe, Vertical-Races, Skyruns und Co. sind gefragt und oft Teil einer grösseren Tourismusstrategie. Die Veranstaltungen machen Regionen auch über den eigentlichen Anlass hinaus bekannt und ziehen Sportlerinnen und Sportler an, die wiederum eine mehr oder minder grosse Entourage mitbringen. Zusammen mit dieser reisen sie oft einige Tage vor dem Startschuss an und bleiben auch nach dem Anlass noch eine Weile am Veranstaltungsort. Eine Strategie, die Sinn macht und im Vergleich zum Tagestourismus gewissermassen als nachhaltig bezeichnet werden kann.

Die PdG ist dennoch alles andere als einer von vielen Ausdauersportanlässen in den Schweizer Alpen. Denn: Sie wird von der Armee organisiert und findet im Gegensatz zu fast allen anderen Sportevents nicht auf einem bestehenden Wegenetz statt, sondern in einem Raum abseits jeder Infrastruktur, in hochalpiner, vergletscherter Wildnis. Solch besondere Umstände, erfordern besondere Massnahmen.

Von der Wildnis zur Rennstrecke – ein logistischer Kraftakt

Nicht nur die sportliche Leistung der Athletinnen und Athleten, auch der logistische Effort der Armee, der das hochalpine Spektakel möglich erst macht, ist beeindruckend. Rund 120 Tonnen Material wie Stromaggregate, Treibstoff, Beleuchtungsmittel, beheizte Zelte, Lebensmittel oder Streckenmarkierungen sind nötig, um das Rennen möglichst sicher durchführen zu können Der Aufwand, um die Wildnis in eine relativ harmlose Rennstrecke zu verwandeln, ist immens: Für die Materialtransporte fliegen die Helikopter in den vier Wochen zwischen Aufbau, Durchführung und Abbau rund 160 Stunden. Laut Schweizerischer Ärztezeitung werden pro Ausgabe der PdG 140 verletzte Teilnehmende und etwa sechs Tonnen medizinisches Material und Gerätschaften mit den Helikoptern transportiert.

Rund 1’600 Angehörige der Armee und 700 Angehörige des Zivilschutzes des Kantons Wallis,  circa 40 Bergführende, Lawinenspezialist:innen, Hundeführende, sowie etwa 160 Sanitätssoldaten und rund 30 Ärzt:innen und Krankenpflegende sind für die PdG im Einsatz. Die Vorbereitungsaufgaben sind aufwendig und vielfältig: Die Strecke wird markiert, an heiklen Passagen werden tausende Treppenstufen in den Schnee gehackt und Fixseile installiert, Lawinenhänge werden gesprengt und die Gletscherspalten sondiert. All das, um maximale Sicherheit in einem von Gefahren geprägten Raum zu gewährleisten. Ein gutes Training für die Soldaten, die ohnehin in den Wiederholungskurs müssten, sagt man bei der Armee.  Sinnfreie Geldvernichtung auf Kosten der Allgemeinheit und der Natur, entgegnet eine Anwohnerin von Arolla, die lieber anonym bleiben möchte.

Massenevent in der letzten Wildnis der Schweiz

Die PdG führt durch einen der wenigen Räume, in dem man sich heutzutage noch natürlichen Gefahren aussetzen könnte, wenn man dies wollte. Die Route verläuft über weite Teile durch die letzten wilden Gebiete der Schweiz. In seiner jetzigen Form ist der Anlass aus Sicht von Mountain Wilderness Schweiz inakzeptabel. 2019 publizierten wir gemeinsam mit der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) eine Studie zu Wildnis in der Schweiz. Das Ergebnis ist die sogenannte Wildniskarte der Schweiz, welche die Ursprünglichkeit der Landschaft auf einer Skala von 1-20 bewertet und in einem Raster von 100 mal 100 Metern darstellt. Ab einem Wert von 15, wird von wilder Landschaft gesprochen. Immerhin: 17 % der Schweiz können noch als wild bezeichnet werden, ein beachtlicher Wert im Gegensatz zu unseren Nachbarländern.

Die Schweizer Wildnis befindet sich quasi ausschliesslich im Hochgebirge. Legt man die Rennstrecke der PdG über die Wildniskarte, so wird sichtbar, dass sich der Trubel mit all seinen Heliflügen, den Sprengungen und der Streckenpräparation in Gebieten von hoher und höchster Wildnisqualität abspielt – ein Fakt, der bei aller PdG-Euphorie auf den Magen schlägt. Hinzu kommt, dass die Strecke durch zwei grossflächige Landschaftsschutzgebiete führt, welche im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) aufgelistet sind. Die Präparationsarbeiten für die PDG mit all ihren Flugbewegungen stehen den klar definierten Schutzzielen dieser Gebiete diametral entgegen, vor allem demjenigen, welches verlangt «die Ruhe und den unberührten Charakter der naturnahen und wilden Lebensräume im Hochgebirge erhalten». Auch bei der grössten Umweltorganisation der Schweiz, Pro Natura ist man unserer Meinung: «Private Skitouren sind in dieser Region der Walliser Alpen kaum ein Problem. Aber ein leistungssportlicher Grossanlass mit all seinen Nebenwirkungen ist in einer geschützten Landschaft und in einem der letzten grossen Wildnisgebiete der Schweiz aus Sicht von Pro Natura fehl am Platz», so Andreas Boldt, Verantwortlicher für Freizeitaktivitäten und Naturschutz.

Einer der berühmtesten Kritiker der PdG ist Werner Munter, der ehemalige Bergführer und Wissenschaftler mit Weltrenommée, dessen Leistungen in der Schnee- und Lawinenforschung ihm den Titel «Lawinenpapst» beschert haben.

Wilde Berge sind für ihn sakrale Orte, Bergsteigen kein Sport, sondern eine Art spiritueller Akt. In unserem Gespräch auf seinem Balkon in Arolla findet er klare Worte: «Ich habe nichts gegen die Armee, aber die PdG in ihrer heutigen Form ist ein absoluter Blödsinn, eine Verhunzung und Banalisierung des Hochgebirges. Die Berge sind während des Rennens wie ein Löwe, dem man Klauen und Zähne gezogen hat, eine blosse Kulisse, Disneyland in den Bergen. Das hat mit Alpinismus rein gar nichts zu tun, jeder Meter ist präpariert, es braucht keinerlei Hochgebirgserfahrung oder Eigenverantwortung».

Für ihn ist der Anlass ein Symbol der Entfremdung und der Respektlosigkeit der Menschen vor der Natur, von Räumen die er als heilig bezeichnet. Es ist auch nicht nur die Veranstaltung an sich, sondern vor allem die Vor- und Nachbereitungen, die er unerträglich findet. «Während fast vier Wochen wird im Hochgebirge um Arolla permanent geflogen, auf dem Balkon versteht man das eigene Wort nicht mehr. Der Lärm der Rotoren ist allgegenwärtig, stört Wildtiere, Anwohnende und Touristen, die bei uns die Ruhe suchen» . Tatsächlich müssen wir das Gespräch mehrfach unterbrechen, da die Helirotationen eine Unterhaltung unmöglich machen.  Aber Munter schimpft nicht nur, er hat sogar einen Vorschlag für eine nachhaltige und alpinistisch anspruchsvolle PdG: Die einzelnen Patrouillen wählen den Startzeitpunkt selbständig aus. Installiert werden einzig elektronische Stempelposten, um die Zeit zu nehmen. Die Eigenverantwortung wäre maximiert, die Auswirkungen auf die Natur minimiert.

Wir fragen einen englische Militär-Patrouille, welche gerade ihre Ausrüstung im Hotel vorbereitet, was sie von Munters Idee hält. Der Vorschlag kommt mässig an. Aus ökologischer Sicht sei das eine sehr gute Idee, aber es hätte nichts mehr mit dem Volksfest zu tun, welches die PdG ausmache. Zudem müsste das Schweizer Militär den Anlass auch dringend als Vorbereitung für den Ernstfall nutzen. Die Veranstaltung sei dafür ideal und auch eine einzigartige Gelegenheit für den Austausch zwischen Militär-Patrouillen verschiedener Nationen.

Beliebter Wirtschaftsmotor zum Saisonende

Einen negativen Effekt auf den Tourismus, wie ihn Munter vermutet, kann Ambre Georgieff, Direktorin des Grand Hotels Kurhaus in Arolla, nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil: Die PdG sei ein willkommener Bettenfüller Ende April, einer ansonsten eher schwach gebuchten Zeit. Beschwerden von Gästen über den Helilärm oder die starke Militärpräsenz gebe es kaum, sagt sie, denn die Leute kämen überwiegend aus der Stadt und seien andere Lärmpegel gewohnt. Ausserdem erfolge die Hälfte der Buchungen in dieser Zeit ohnehin durch die Armee selbst.  «Arolla ist die allermeiste Zeit extrem ruhig, der Lärm beschränkt sich auf einen Monat alle zwei Jahre, das ist vertretbar», so Georgieff.

«Befehl zum Umweltschutz»

Dass die Patrouille des Glaciers für das Wallis ein bedeutender Wirtschaftsfaktor ist, kann nicht abgestritten werden, ebensowenig, dass der Aufwand und der ökologische Fussabdruck der Veranstaltung immens sind. Um die ökologischen Auswirkungen der Massenveranstaltung in den Griff zu bekommen, ist auf der Website des Events von einem elaborierten Umweltschutzkonzept die Rede. Die aufgeführten Massnahmen sind allerdings sehr knapp und schwammig gehalten. Was genau im «Befehl zum Umweltschutz» steht, bleibt der Öffentlichkeit vorenthalten. Geregelt seien darin aber alle relevanten Themen, nämlich CO2-Emissionen, Abfallbewirtschaftung, Helikopterflüge, Verkehr und Transport, sowie Erziehung zu umweltbewusstem Verhalten. 

Für Mountain Wilderness Schweiz ist der Fall spätestens seit unserem Besuch vor Ort klar. Ein Schlüsselmoment war sicher die eisige Nacht am Pas de Chèvre, die wir – auf die Patrouilleure wartend – mit dem penetrantem Benzingestank und dem Lärm der Generatoren in Nase und Ohren verbachten. Das weltgrösste Skitourenrennen in seiner heutigen Form ist angesichts von Klimakrise und Wildnisverlust nicht mehr zeitgemäss. Es bedarf zumindest einer Redimensionierung oder gar einer ganz alternativen Form, wie sie beispielsweise Werner Munter vorschlägt. Geht es nach uns sollte am Berg gelten: Minimaler ökologischer Fussabdruck – maximale Eigenverantwortung.

CO2 Emissionen der PDG

CO2-Bilanzen werden seit 2014 durchgeführt. In 2018 sahen die CO2-Ausstösse prozentual wie folgt aus :

  • 57% von Ziviler Mobilität von Patrouillen und Zuschauern
  • 23% Militär und zivil (Bewirtung)
  • 18% Militärische Logistik (inkl. Helikopterflüge)
  • 1% Elektrizität
  • 1% Wasser, Papier

Seit 2014 sanken die CO2-Ausstösse wie folgt:

  • -50% Elektrizität
  • -50% Militärische Logistik
  • -50% Abfall

Die Emissionen der zivilen Mobilität haben um 33% zugenommen, da Menschen aus der ganzen Welt mit Flugzeug und Auto anreisen.

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