Erschienen in der 88. Ausgabe des Mitgliedermagazins Wildernews, Sommer 2024
Autor: Aaron Heinzmann, Projektleiter Alpenschutz bei Mountain Wilderness Schweiz
Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) hat Ende 2023 eine Studie zu wirksamen Energiesuffizienz-Massnahmen veröffentlicht; diese würden den Druck auf den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich reduzieren.
Bei der Gewährleistung der Energieversorgung steht in der Politik hauptsächlich die Steigerung der inländischen Energieproduktion im Fokus. Dabei liessen sich laut diversen Studien mit entsprechenden Energieeffizienz- und Energiesuffizienz-Massnahmen (Bundesamt für Energie, Bericht Steigerung Energieeffizienz 2022; Greenpeace, Versorgungssicherheit und Klimaschutz 2022; Verein négaWatt 2021) bis zu 50 %, d. h. rund 100 Terawattstunden (TWh), des heutigen schweizerischen Endenergieverbrauchs einsparen. Trotz dieses enormen Potenzials wird die Energieeffizienz von der Politik mit Samthandschuhen angefasst und die Energiesuffizienz komplett vernachlässigt.
In ihrer Studie schlägt die SES der Politik effektive Suffizienz-Massnahmen vor, welche den Energiebedarf senken würden. Vorteil für wilde Gebirgsräume: Kleinere Bedrohung durch Energieprojekte, da bei geringerer Nachfrage auch weniger Anlagen gebaut werden müssten. Suffizienz ist aus der Wildnisperspektive daher sinnvoll. Doch in welchen Lebensbereichen kann sie dank Ergreifen politischer Massnahmen umgesetzt werden?
Legende zum Beitragsbild
Einsparpotenziale der untersuchten Energiesuffizienz-Massnahmen in den einzelnen Sektoren. Gemäss der SES könnten in der Schweiz dank einfach umsetzbaren Methoden der Energiesuffizienz jährlich rund 30 TWh eingespart werden. Zum Vergleich: Alpine Solaranlagen wie Morgeten Solar versprechen eine jährliche Leistung von lediglich 0.012 TWh. Bei Grengiols-Solar ist die Rede von 0.15 TWh.
Mobilität – Raumplanung der kurzen Wege
Die Mobilität macht rund einen Drittel unseres Gesamtenergieverbrauches aus. Hier besteht demnach ein enormes Reduktionspotenzial.
Das Konzept der 15-Minuten-Stadt sieht vor, dass für alle Bewohner:innen Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs in ca. 15 Minuten ab ihrem Zuhause zu Fuss, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehr erreichbar sind. Eine solche Raumplanung der kurzen Wege erhöht die Lebensqualität, da auf lange und stauanfällige Strecken verzichtet, Zeit gewonnen und aufgrund der effizienteren Verkehrsmittel nebenbei viel Energie gespart werden kann.
Konsum – Verlängerung der Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten
Konsum ist ein weiterer bedeutender Treiber des Energieverbrauchs. Zusätzlich zum Verbrauch, der beispielsweise während der Nutzung elektronischer Geräte entsteht, steckt in jedem Produkt auch «graue Energie». Diese wird für die Herstellung, Transporte und Entsorgung eines Produktes sowie all seiner Materialien benötigt. Aufgrund des hohen Wohlstandes und Konsumniveaus in der Schweiz macht die graue Energie fast zwei Drittel der persönlichen Energiebilanz aus.
Die Verlängerung der Lebens- und Nutzungsdauer von Produkten stellt daher eine effektive Energiesparmassnahme dar. Angebot und Nachfrage können durch Standards wie eine gesetzlich festgelegte Mindestgarantie oder ein Recht auf Reparatur beeinflusst werden. Eine weitere Möglichkeit ist die Förderung von Reparatur- oder Secondhandangeboten.
Gebäude – Wohnflächenbedarf pro Person reduzieren
In den vergangenen Jahrzehnten hat der Wohnflächenbedarf pro Person in der Schweiz stark zugenommen. 1990 lebten 2,2 Personen in einer Wohnung, heute sind es noch 1,9. Wären es wieder 2,2 Personen, bräuchte es für 10 Millionen Einwohner:innen keine Neubauten. Allein durch den Verzicht auf diese 700’000 Wohneinheiten könnten jedes Jahr mehrere TWh an Betriebsenergie und grauer Energie eingespart werden.
Wie bereits bei vielen Wohnbaugenossenschaften praktiziert, könnte der Wohnflächenbedarf durch Belegungsvorschriften gesenkt werden. Andere Möglichkeiten wären finanzielle Anreize für geringeren Wohnflächenbedarf oder der Bau von mehr Wohnfläche, wenn darin flächensparend gelebt wird.
Persönlicher Energieverbrauch – Information und Sensibilisierung
Mit Sensibilisierungskampagnen wird an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert. Erfahrungsgemäss zeigt sich jedoch, dass solche Aktionen kaum längerfristig wirken. Um die Akzeptanz anderer politischer Massnahmen zu erhöhen, sind Information und Sensibilisierung bezüglich Energieverbrauch dennoch zentral.
Erhalten Verbraucher:innen im Kontext von Sparzielen oder Vergleichen mit ähnlichen Haushalten direkte Informationen zum eigenen Energieverbrauch, können auch Informations- und Sensibilisierungskampanen durchaus zu gesamtschweizerischen Einsparungen von immerhin einigen TWh führen.
Die Studie der SES präsentiert betreffend Energieversorgung, Mobilität, Konsum, Gebäude und Sensibilisierung verschiedene Massnahmen, die in jedem Bereich jährliche Energieeinsparungen von mehreren TWh zur Folge hätten. Zusammen mit Energieeffizienz-Massnahmen sowie dem konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien auf und an Infrastrukturen und Gebäuden wären aufgrund des tieferen Energiebedarfs keine weiteren Eingriffe in die Wildnis nötig. In Anbetracht der Elektrifizierung von Verkehr und Wärme würde die Einführung der Instrumente eine grosse Entlastung für durch Energieanlagen bedrohte Naturräume bedeuten.
Was ist Suffizienz?
Unter Suffizienz werden Lebens- und Verhaltensweisen verstanden, die wenig Energie, Materialien und andere Ressourcen wie Land und Wasser verbrauchen. Solche Lebensweisen sind naturverträglich und gewährleisten oder steigern zudem das Wohlbefinden. Effizienz bedeutet indessen das Ergreifen technischer Massnahmen, durch die eine bestimmte Leistung mit weniger Ressourcen erbracht werden kann.
Oft wird Suffizienz als persönlicher Entscheid betrachtet; so einfach ist es jedoch nicht. Leben und Verhalten werden massgeblich durch die spezifische Lebenssituation beeinflusst, die sich jedoch nur bedingt ändern lässt. Die Politik kann aber mittels gezielter Massnahmen Suffizienz entscheidend fördern. Dementsprechend sind Suffizienz-Massnahmen politische Instrumente, welche die Rahmenbedingungen für suffiziente Lebens- und Verhaltensweisen verbessern können.