Mountain Wilderness → News → Energiewende ja, Gondosolar nein
Mountain Wilderness → News → Energiewende ja, Gondosolar nein
Das Gebiet ob Gondo ist so wenig begangen und so unbekannt, dass es nicht durch ein Schutzgebiet geschützt ist. Wohl gerade deshalb erhält nun die Idee Aufwind, hier unter dem Namen Gondosolar auf der Fläche von 14 Fussballfeldern die erste grosse freistehende Photovoltaik-Anlage (PVA) der Schweiz im alpinen Raum zu bauen. Würde Gondosolar bewilligt, so befürchten Natur- und Landschaftsschutzorganisationen einen Dammbruch für viele weitere solcher Projekte. Das Projekt sieht eine 100’000 Quadratmeter grosse freistehende PVA auf einer ehemals alpwirtschaftlich genutzten Fläche ob Gondo im Kanton Wallis vor. Das Projektgebiet Alpjerung liegt auf gut 2’000 Metern über Meer, am Fusse des prächtigen Monte Leone direkt an der italienischen Grenze.
Die PVA hätte eine Leistung von 18 Megawatt und soll jährlich 0,0233 Terawattstunden (TWh) Strom liefern, den Bedarf von rund 5’200 Haushalten. Die Gesamtkosten sind auf 42 Mio. Franken budgetiert, der Bau würde 3 Jahre dauern. Initiiert hat das Projekt der Besitzer der Alp, beteiligt sind die Gemeinde Gondo-Zwischbergen sowie die Energie Electrique du Simplon EES (Mehrheitsaktionärin: Alpiq). Obwohl niemand mit einer Eröffnung vor 2030 rechnet, scheint das Projekt ernst gemeint zu sein. Eine Machbarkeitsstudie liegt vor. Als nächstes müsste das Projekt im kantonalen Richtplan festgesetzt werden.
Die eigens geschaffene Website vermittelt das Projekt in einem verführerischen Ton. «Die Wahrnehmung der Landschaft wird nur geringfügig beeinflusst (…)» steht da beispielsweise. Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, widerspricht: «Gondosolar ist ein gut gemeintes Projekt am völlig falschen Ort». Die Anlage käme in eine ehemalige Kulturlandschaft zu liegen, die bisher kaum erschlossen ist. Das Gebiet sei unglaublich wertvoll durch seine Ruhe und Abgeschiedenheit. Der sogenannte «Römerweg» – ein Pfad von historischer Bedeutung – verläuft genau durch das Projektgebiet. Es fehlen Studien, wie sich freistehende PVA auf Wildtiere auswirken. Kurzum: «Um für 5’200 Haushalte Strom zu erzeugen, sind die Kosten und die Eingriffe unverhältnismässig hoch.»
Ähnlich sieht es die grüne Walliser Politikerin und Umweltschützerin Brigitte Wolf: «Statt auf das riesige Potenzial dezentraler Anlagen zu setzen, ist man mit Gondosolar im alten Denken der Grosskraftwerke verhaftet.» Lange habe die Photovoltaik im Wallis ein Mauerblümchen-Dasein geführt, erklärt Brigitte Wolf, und nun – bei einem grossen Prestige-Projekt – seien plötzlich alle dabei. Die Grünen haben sich als einzige Fraktion im Walliser Parlament gegen die Motion «Zur Förderung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen» geäussert. Bereits geistert die Idee einer freistehenden PVA im Saflischtal herum – in einem Naturpark, notabene!
Es ist unbestritten: Wenn wir das Abkommen von Paris einhalten und den Klimawandel aufhalten wollen, muss die Energiewende kommen. Dies darf und muss jedoch nicht auf Kosten der letzten unberührten Gebiete geschehen. Michael Casanova, Energieexperte bei Pro Natura, bestätigt: «Der Druck zum schnellen Ausbauen ist da.» Aktuell beträgt der Strombedarf in der Schweiz rund 60 TWh. Allein für den Ersatz der AKW brauchen wir mehr als 20 TWh Strom aus erneuerbaren Quellen. Hinzu kommt, dass ein grosser Teil der Dekarbonisierung, also der Abkehr von Gas, Kohle und Öl, mit Strom geschehen wird. Je nach Szenario benötigen wir dazu noch einmal einen Zubau von 15 bis 40 TWh an erneuerbaren Energien.
Ein Argument für den Zubau von freistehenden alpinen PVA und neuen Pumpspeicherkraftwerken ist die sogenannte Winterstromlücke. Saisonabhängige Energieträger wie Wind und PV könnten im Winter die Stromversorgung nicht zuverlässig decken, ein Blackout drohe. Diese Geschichte ist vor allem ein erfolgreicher Propaganda-Trick. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Blackout eintritt, ist klein. Basis für die Verunsicherung ist ein Bericht der Elcom von 2021. Dieser skizziert in einem Extrem-Szenario eine Stromlücke von 47 Stunden für Ende März 2025. Und dies nur, sofern die Kooperations-Verhandlungen mit der EU scheitern.
Fachpersonen wie Michael Casanova halten die Gefahr für gering, dass wir von der EU einfach hängen gelassen werden. Die Schweiz hat mit ihren Speicherseen zudem ideale Voraussetzungen, um überschüssigen Sommerstrom zu speichern: Das sind natürliche Batterien für rund 8 TWh Strom. Dies bedingt aber, dass die Pumpspeicherkraftwerke in den Dienst der Versorgungssicherheit gestellt und nicht dann geleert werden, wenn der Strompreis am lukrativsten ist.
Das grösste Potenzial, naturverträglich Strom zu produzieren, liegt in der Schweiz bei der Photovoltaik. Studien gehen von bis zu 67 TWh aus, die auf bestehenden Fassaden und Dächern produziert werden könnten. Es hat also noch reichlich Potenzial im bebauten Gebiet, wo sich PV bedeutend kostengünstiger nutzen lässt als im alpinen Freiraum. Bei der Windkraft sind die Konflikte mit Natur- und Landschaftsschutz grösser als bei PV-Anlagen im Siedlungsgebiet. Greenpeace sieht im Bericht «Versorgungssicherheit und Klimaschutz» von 2022 ein Potenzial der Windkraft von rund 5 TWh. Ausgeschöpft ist aus Sicht von Michael Casanova jedoch die Wasserkraft. Weitere Ausbauten sind hier naturverträglich kaum möglich.
Auch Raimund Rodwald sieht riesiges Potenzial für Solarstrom auf bereits bebauten Flächen, gerade im Wallis, dem Kanton mit der höchsten spezifischen Sonneneinstrahlung. Er nennt die «Autoroute solaire»; die Idee, die A9 bei Fully auf 1,6 Kilometern mit 47’000 Solarzellen zu überdachen und Strom für 12’000 Haushalte zu produzieren. Zudem sehen sowohl Raimund Rodewald als auch Brigitte Wolf viel Nachholbedarf auf den Dächern der Walliser Tourismusgemeinden, die noch viel zu selten mit PVA ausgerüstet seien. Dies, obwohl sie oft sehr ähnliche Strahlungsbedingungen aufweisen wie das Gebiet oberhalb von Gondo – ideal für Winterstrom.
Brigitte Wolf fordert, nicht in die Rhetorik der Winterstromlücke einzustimmen und endlos erneuerbare Alternativen für die Stromerzeugung zu fordern, sondern auch Einsparungen zu verlangen. Laut Bundesrat besteht allein bei der Gebäudeeffizienz durch verbessertes Dämmen ein enormes Sparpotenzial. Michael Casanova hofft ebenfalls auf die Effizienz und Suffizienz, dem bewussten Entscheid für Tätigkeiten, Produkte und Konsum, die weniger Energie erfordern. Auf freiwilliger Basis geht das nur schleppend voran, und es bedarf mitunter einer Änderung der individuellen Werthaltung. Michael Casanova plädiert: «Nötig wäre es darum, auch staatlich Anreize zu schaffen, zum Beispiel über Lenkungsabgaben.»
Positionspapier von Mountain Wilderness Schweiz für eine wildnisverträgliche Energiewende
Stellungnahme von Mountain Wilderness Schweiz zum Projekt Gondosolar
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