Search
Close this search box.

Die Kunst, Spuren zu löschen

Juerg Haener

Die Berge sind Freiräume für Natur und Menschen gleichermassen. Wir müssen lernen, sie zu entdecken, ohne dabei das empfindliche Gleichgewicht zwischen ihrer Wertschätzung und ihrer Nutzung zu überschreiten. Die Spuren, die der Mensch hinterlässt, spielen dabei eine besonders wichtige Rolle.

Mountain Wilderness widersetzt sich einer Tendenz, die trotz der ihr zugestandenen Abwegigkeiten immer noch weitgehend vorherrschend ist. Dieser Trend zielt darauf ab, die Natur immer stärker in den Griff des Menschen zu bekommen, was sich in einer Vielzahl von Bauten und Infrastrukturen niederschlägt. Aus Sicht von Mountain Wilderness geht es heute mehr denn je darum, zu dekonstruieren, seine Spuren zu löschen, anstatt sie für die Nachwelt hinterlassen zu wollen. Genau dem widmet sich unser Rückbau-Projekt.

Aus Sicht der gewöhnlich-wirtschaftlichen Denkweise ist der Abbau nicht mehr genutzter Anlagen in der Regel die allerletzte aller Optionen. Zwar versteht es sich von selbst, dass der Abbau nicht mehr genutzter Bauten und Einrichtungen unerlässlich ist, wenn wir die verbleibenden unberührten Landschaften Europas erhalten wollen. Trotzdem bleibt die Option des Abbaus in den meisten Fällen die unattraktivste: Erstens weil sie hohe Kosten verursacht und zweitens weil ihr, aus Sicht des unternehmerischen Denkens ernüchternde, Ergebnis darin besteht, alle Spuren menschlichen Eingreifens zu verwischen. Spuren, die in Form von Skiliften, Seilbahnen, militärischen, landwirtschaftlichen oder auch Versorgungs- und Kommunikationseinrichtungen auftreten können.

Bei Anlagen, die mit dem Wintertourismus in Verbindung stehen, wird das Problem durch die globale Erwärmung beschleunigt und verschärft. Jedes Jahr strömen 120 Millionen Touristen in die Skigebiete des Alpenraums, obwohl sich die Nutzsaison seit 1960 um einen Monat verkürzt hat und tiefer gelegene Skigebiete mit Schneemangel zu kämpfen haben. In Wirklichkeit stagniert die Wintersportindustrie. Doch anstatt Überlegungen zu einer Neuausrichtung der Skigebiete anzustellen, entfaltet sich ein überlebensartiger Reflex, noch mehr und noch höher zu bauen, d. h. immer tiefer in die Wildnis hinein. Mountain Wilderness will diese wilden Gebiete vor dem galoppierenden Gigantismus bewahren, der das Leben einer Industrie künstlich verlängern möchte, indem er sie für ein immer grösseres Publikum leicht zugänglich macht. In diesem Zusammenhang hat der Abbau von veralteten Anlagen nicht nur den Vorteil, dass «natürliche» Räume wiederhergestellt werden, sondern auch, dass die Berge als Ort der menschlichen Erfahrung und Erholung aufgewertet werden.

Rückbau-Projekt: Wiederbelebung dank neuer Website
Mountain Wilderness Schweiz hat das Projekt «Rückbau» im Jahr 2023 wiederbelebt, nachdem es 2015 mit der Demontage einer Holzhütte am Safierberg (GR) seine letzte grosse Sternstunde erlebt hatte. Seit letztem Jahr profitiert das Projekt von neuen Ressourcen und Finanzierungen, was uns die Durchführung von zwei ersten partizipativen Abbruchaktionen in La Robella (NE) und Ernen (VS) ermöglicht hat. Vor allem aber ist es die Zusammenarbeit mit Mountain Wilderness Frankreich, die dem Projekt eine neue Dimension verleiht. Mountain Wilderness Frankreich kümmert sich seit 2001 um die rund 3’000 verlassenen Anlagen, die sich auf ihrem Landesgebiet befinden und hat in den letzten Jahren über 70 partizipative Rückbauaktionen organisiert, an welchen 570 Tonnen Material beseitigt wurden. Somit konnte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Behörden rund um das Ausmass dieser Problematik erhoben werden. Der partizipative Charakter des französischen Projekts wird dadurch unterstrichen, dass Bürger:innen die Möglichkeit haben, verwaiste Anlagen auf der Website installationsobsolètes.org zu melden und so der Wildnisorganisation dabei zu helfen, neue Rückbauaktionen zu planen und zu organisieren.

Die gute Nachricht für die Schweiz ist, dass die Website installationsobsolètes.org nun auch hierzulande verfügbar ist. Wir zählen also auf unsere Leserinnen und Leser, die diese Seite mit Inhalten füllen, damit wir eine nationale Datenbank aufbauen, die Öffentlichkeit für das Problem der stillgelegten Anlagen sensibilisieren und unsere nächsten Rückbauaktionen planen können.

Die im Herbst 2023 erhobenen 55 verlassenen Ski-Lifte

55 Geister-Skilifte
In der Schweiz werden der Betrieb und die Stilllegung von Seilbahnen durch das Seilbahngesetz geregelt (siehe Kasten). Das Gesetz legt zwar fest, dass der «Eigentümer» für den Abbau stillgelegter Anlagen verantwortlich ist, berücksichtigt dabei aber nicht, dass der Eigentümer in der Realität häufig zahlungsunfähig ist und daher nicht in der Lage ist, seiner Verantwortung nachzukommen. In der Realität bleiben verlassene Anlagen meist viele Jahre oder sogar Jahrzehnte lang in ihrem Zustand, wobei sich die Beteiligten Parteien (Betreiber der Anlagen, Landbesitzer, kommunale und/oder kantonale Behörden) gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Dies zeigt einen weiteren Schwachpunkt des Gesetzes: 2021 waren dem Bund 2’433 Seilbahnen in der Schweiz bekannt, von denen 661 einer eidgenössischen Konzession unterlagen. Die restlichen standen unter der Verantwortung der Kantone und Gemeinden, welche jedoch nicht immer den Überblick über alle auf ihrem Territorium vorhandenen Anlagen haben und daher nicht wissen, welche noch in Betrieb sind. Um diesen Informationsmangel zu beheben, hat Mountain Wilderness Schweiz ein Inventar obsoleter Seilbahnen erstellt. Dieses umfasst rund 55 Einträge und kann nun auf der Website installationsobsolètes.org eingesehen werden.

Das Ziel unseres Rückbau-Projektes besteht nicht nur darin, das Problem der veralteten Anlagen sichtbar zu machen und die Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf den Wert unbebauter Landschaften zu lenken, sondern auch darin, eine Gesetzesänderung zu erwirken. Das Seilbahngesetz soll mit einer Frist für den Rückbau stillgelegter Anlagen ergänzt werden und soll Unternehmer:innen zwingen, einen Fonds zur Finanzierung des Rückbaus einzurichten. Diese Bedenken teilt Nationalrat Christophe Clivaz: Der Walliser Abgeordnete setzte im September 2024 ein Postulat durch, das den Bundesrat beauftragt, zu prüfen, inwieweit die Eigentümer von Seilbahnen ihrer Verpflichtung zum Rückbau endgültig stillgelegter Anlagen nachkommen. Im Falle der Nichteinhaltung soll der Bundesrat Massnahmen vorschlagen, die sicherstellen, dass eine endgültig stillgelegte Anlage auch dann abgebaut wird, wenn der Eigentümer der Anlage in finanziellen Schwierigkeiten steckt oder Konkurs angemeldet hat. Trotz dieses Teilerfolgs ist es Aufgabe der Zivilgesellschaft, den Druck auf die Gesetzgeber zu erhöhen und durch freiwillige Aktionen den Mehrwert des Rückbaus zu demonstrieren.

Weitere Informationen: Mountain Wilderness Schweiz / Rückbau

Rechtsgrundlage:

In der Schweiz wird die Stilllegung veralteter Anlagen durch das Seilbahngesetz (SebG) geregelt. In Artikel 19 des Gesetzes heisst es: «Wird der Betrieb einer Seilbahn definitiv eingestellt, so sind die Anlagen auf Kosten des Eigentümers oder der Eigentümerin zu entfernen. Die zuständige Behörde entscheidet, inwieweit der ursprüngliche Zustand wiederherzustellen ist.»

***
Melden Sie uns veraltete Anlagen in Ihrer Region!

Die Website installationsobsoletes.org ist jetzt auch für die Schweiz verfügbar!

Mehr zum Thema
Diesen Beitrag teilen
Facebook
Twitter
LinkedIn
Mehr News