Auf Ziegenhaar zum Gipfel

Juerg Haener

Steigfelle bestehen in den meisten Fällen aus südafrikanischem Ziegenhaar. Das Tierwohl in den Betrieben ist schwer kontrollierbar, und auch in Sachen Nachhaltigkeit gibt es einige Knackpunkte. Zeit, das Fell von der Schattenseite des Skis zu ziehen und genauer zu beleuchten.

Text: Tim Marklowski
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6/24 des SAC-Mitgliedermagazins «Die Alpen» erschienen.

Das Thema Nachhaltigkeit dringt längst in jede Nische des Bergsportmarktes. Lange galt das Interesse ausschliesslich der Bekleidung, heute gibt es zumindest vereinzelt auch im Bereich Hartwaren Bemühungen um nachhaltigere Produkte: ökologischere Ski mit Flachsfasern, langlebigere Karabiner ohne Färbung und mit Stahleinsätzen gegen Abrieb oder Kletterseile aus Recyclinggarn.

Da verwundert es fast, dass ein Ausrüstungsgegenstand, der mindestens so häufig verkauft wird wie die anhaltend boomenden Tourenski, bislang unter dem Radar geblieben ist: das Steigfell. Tourenski gehen in Europa je nach Schätzung zwischen 100 000 und 150 000 Paar jährlich über die Ladentheke. Und ohne Steigfelle wäre ein Aufstieg mit Ski nicht möglich.

Während ein Steigfell früher tatsächlich ein unter den Ski gespanntes Tierfell war (je nach Region von Robbe, Gämse oder Ziege), sind moderne Steigfelle ziemliche Hightechprodukte. Mit einem Fell im eigentlichen Sinne haben sie nicht mehr viel gemein, ausser dass nach wie vor Tierhaar der Goldstandard ist. Je nach Felltyp macht Mohair, eine Faser aus dem Haar der Angoraziege, bis zu 100% der Gleitfläche aus oder wird zu unterschiedlichen Anteilen mit Nylon gemischt.

Zwar gibt es auch Felle aus reiner Kunstfaser. Jedoch blieben die Eigenschaften des exotischen Ziegenhaars unerreicht. Mohair ist wasserabweisend, wodurch die Stollenbildung reduziert wird und die Skifelle leicht bleiben. Zudem sind die Fasern auch bei sehr kalten Temperaturen noch geschmeidig und bieten ideale Gleiteigenschaften.

Aus dem eigentlichen Fell wurden längst Hightechprodukte. Bild: Guillem Rivas

Tierwohl bleibt Vertrauenssache

Wo tierische Rohstoffe zum Einsatz kommen, ist die Frage nach dem Tierwohl nicht weit. Dies insbesondere, wenn die Tierhaltung weit entfernt stattfindet. Angoraziegen werden überwiegend in Südafrika gezüchtet. Von dort beziehen auch Schweizer Fellhersteller ihre Fasern. Und dort hat die Tierschutzorganisation PETA in einem Bericht 2018 gröbste Missstände angeprangert und dabei Bilder veröffentlicht, die schwer erträglich sind.

In der Modebranche, die Mohairfasern beispielsweise für edle Pullover verwendet, führte die Kampagne zu Boykotten. In der umweltsensiblen Outdoorszene hörte man dazu nichts. Vielleicht brachte man Ziegenhaar aus Südafrika einfach nicht mit Schneesport in Verbindung?

Was bei den Konsumierenden kaum ankam, wurde von den Herstellern aber sehr wohl registriert. Bei

POMOCA und Colltex, zwei der wichtigsten Schweizer Fellhersteller, las man den Bericht schockiert und sah sich zum Handeln gezwungen. Beide Firmen prüften, ob ihre Fasern aus den wegen tierquälerischer Praktiken angeprangerten Farmen stammten. Dies war laut Aussage ihrer Zulieferer nicht der Fall.

Eine Aussage, der man vertrauen muss, denn ein Label für nachhaltige Skifelle, vergeben durch eine unabhängige Prüfstelle, gibt es bisher nicht. Das, obwohl es für Bekleidung mittlerweile ein solches gibt, den Responsible Mohair Standard (RMS). Diesen hätte man auch bei POMOCA und Colltex gern als unabhängigen und für Konsumierende sichtbaren Standard eingeführt, scheiterte jedoch an den Eintrittshürden.

Zertifizierung ist unrealistisch

Fellhersteller kaufen ihre Fasern bei südafrikanischen Grosshändlern. Diese wiederum beziehen ihr Material von unzähligen, zum Teil winzigen Betrieben. Darunter Kleinbauern mit einer Handvoll Ziegen. Die Gebühren für eine Zertifizierung würden für diese Kleinbauern den Untergang bedeuten. Zudem sei der administrative und finanzielle Aufwand, um die Lieferketten bis hin zur kleinsten Farm zurückzuverfolgen, bisher schlicht nicht stemmbar, so Arthur Guinand vom Marktführer POMOCA. Folglich verlasse man sich auf die Aussagen der Zulieferer, dass geltendes Tierschutzrecht und die Empfehlungen des Branchenverbands Mohair South Africa eingehalten werden. Mit Letzterem arbeite man an Lösungen, um die Lieferketten transparenter zu machen.

Bei Colltex hat man die eigenen Standards mit den Richtlinien des RMS abgeglichen. «Wir entsprechen diesen vollumfänglich», so Hans-Peter Brehm, Bergführer und Vertreter der Firma. Eine offizielle RMS-Zertifizierung der gesamten Lieferkette sei aber keine Option, da nicht bezahlbar. In Sachen Tierwohl kommt man also bisher um ein gewisses Vertrauen nicht herum, weder als Fellproduzent noch als Konsumentin oder Konsument.

Das Recyclingfell gibt es nicht – noch nicht

Neben dem schwer kontrollierbaren Tierwohl und den weiten Transportwegen des Mohair gibt es einige weitere Knackpunkte in Sachen Nachhaltigkeit. Einer davon ist bereits gelöst: Die berüchtigten «Ewigkeitschemikalien» (per- und polyfluorierte Chemikalien, kurz: PFC) zur Verbesserung der Gleiteigenschaften, kommen nicht mehr zum Einsatz.

Ein Problem, das bleibt, ist der offene Kreislauf: Steigfelle sind bislang nicht recycelbar, da die Bestandteile unlösbar miteinander verklebt sind. Ein altes Fell kommt also in den Hauskehricht, ein zweites Leben gibt es nicht. Noch nicht, denn man suche laufend nach geeigneten Materialien, die ohne weite Transportwege verfügbar und womöglich auch recycelbar sind, so die Firmenvertreter.

Bei Colltex konnte man durch ein neuartiges, rein synthetisches Fell den CO2-Fussabdruck bereits um 50% senken, laut eigener Aussage bei gleicher Performance. Und Tierwohl ist bei Synthetikfasern ohnehin kein Thema. Bei POMOCA werden neben synthetischen auch regionale tierische Alternativen getestet, denn Naturfasern bieten auch ökologische Vorteile (Stichwort Mikroplastik). Wohin die Reise geht, bleibt also offen. Sicher ist: Es geht bergauf.

Artikel im SAC-Magazin lesen: Auf Ziegenhaar zum Gipfel | Schweizer Alpen-Club SAC

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